Sonntag, 1. Juli 2012

Das Familienleben in China um 1900

Das Familienleben 

In China ruht die Familie völlig auf patriarchalischer Grundlage und bildet eine in sich abgeschlossene Welt.

Den Chinesen interessiert es wenig, was außerhalb der Familien vor sich geht. Der Staat ist eine große Familie und die Familie ist ein kleiner Staat.
daraus ergibt sich ein bestimmtes, charakteristisches Gepräge im Hinblick auf seine sittlichen Grundsätze und seine Lebensführung. In China ist im Übrigen auffallend, dass alles eine gewisse Gegensätzlichkeit in sich birgt.
Weiß ist die Trauerfarbe, dem Chinesen ist ein Europäer mit blondem Haar und blauen Augen eine solch fremdartige Erscheinung, welche er niemals mit seinem Schönheitsideal in Einklang zu verbringen mag. Wenn der Chinese speist beginnt er mit Naschereien und endet mit einer Suppe. Ehrentitel sind nicht erblich, sondern werden den Verstorbenen verliehen. Kinder sorgen sich mehr um ihre Eltern als umgekehrt. Dann erhalten die Eltern nach ihrem Ableben Denkmäler aus Stein und Holz und man verewigt ihre Tugenden in Inschriften. Hingegen würde für verdienstvolle Leute aus ihrer Mitte  niemals ein Monument  nach ihrem Tode gesetzt. Der Ehrenplatz im gesellschaftlichen Verkehr ist nicht jener zur Rechten, sondern jener zur Linken, damit der Gast dem Herzen des Gastgebers oder Begleiters näher steht.
Das Zeichen der Bejahung ist ein Kopfschütteln und das Nicken die Verneinung.
Bei der Beurteilung des chinesischen Lebens darf man nicht übersehen, dass die Grundlagen der Gesellschaft noch immer auf der, von vor mehreren Jahrtausenden ruhen.  Es gibt nicht nur Schattenseiten im chinesischen Familienleben, bemerkenswert ist vor allem die große Ehrerbietung der Kinder gegen ihre Eltern und zwar in einem Grade, wie Sie sonst unter keinem großen Volke der Erde zu verzeichnen ist.
Der Sohn ist der gehorsame Diener seines Vaters, er widerspricht nie, vollführt alle Aufträge auf das genaueste und begleitet seinen Vater auf ehrerbietigster Weise, indem er nicht neben sondern hinter ihm schreitet. Dieser außerordentliche Respekt ist indes kein Produkt der Erziehung, sondern hängt mit dem Ahnenkult zusammen. Der Chinese glaubt, dass seine Vorfahren in irgend einer Gestalt beständig um ihn versammelt sind, an allen Geschäften und häuslichen Angelegenheiten teilnehmen und Einfluss auf alles Tun und Handeln der Lebenden haben. Deshalb befindet sich in jedem Haus ein Zimmer oder eine Kapelle, die ausschließlich den Verstorbenen gewidmet ist. In diesem Raum ist die Anwesenheit der Ahnen unumstößlich, auf Tafeln stehen die Namen aller Vorfahren vom Gründer der Familie an bis zum Namen des letzten Verstorbenen. Im Ehrenzimmer werden religiöse Gebräuche ausgeübt, diese Zeremonien sind die eigentlichen Kulturformen des Foismus. ( Name des Buddhaismus in China) 
Der Chinese kennt keine Hierarchie und keinen öffentlichen Kult, ausgenommen wenige symbolische Handlungen, welche zu bestimmten Zeiten in Tempeln statt finden.
Hand in Hand mit dem Ahnenkult geht die große Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod und alles was irgendwie damit zusammen hängt. Man fasst es beispielsweise als ein außergewöhnliches Zeichen der Pietät auf, wenn der Sohn seinem Vater einen Sarg ins Zimmer stellt.   
Ja, noch mehr, der Sarg gilt als eine Art Luxusartikel und wird zu den Möbeln gestellt. 
In allen chinesischen Magazinen, in welchen Haushaltswaren feil geboten werden, findet sich immer eine große Zahl von prunkvoll gearbeiteten, bemalten und geschnitzten Särgen, die mann jedermann anpreist und jedermann kauft, wie etwa einen Bett oder einen Schrank. Ein schön gearbeiteter Sarg ist der Stolz eines Hausherrn. da dem Chinesen das Ableben eine gleichgültige Angelegenheit ist, betrachtet er mit Vorliebe das "Möbelstück", dass einst seine Behausung sein soll. 
Eine solche Auffassung setzt notwendiger weise einen hochgradigen Fatalismus voraus und es gibt wohl kaum ein Volk, das dem Aberglauben so sehr ergeben wäre wie das chinesische. 
Die Chinesen glauben, dass ihr Lebenslauf bis ins kleinste Detail vorherbestimmt sei und schreiben selbst den gewöhnlichsten Naturereignissen überirdischen Ursachen und Wirkungen zu. 
Den Regen gießt der Donnergott herab, der jenseits der Wolken thront. 
Der Regenbogen wird durch den Atem einer ungeheureren Auster gebildet und Hagel wird als Heimsuchung eines erzürnten Gottes angesehen. Hochgestellte und verehrte Personen scheuen sich auch nicht, angesichts eines Hochwassers vor der ersten besten daher kriechenden Wasserschlange auf die Knie zu fallen und um um durch diese Demütigung vom Gott der Wassers Verringerung des Elends zu erwirken.
Der Aberglaube ist Chinas schlimmster feind, ein Schatten, den nur das Licht der Wissenschaft und die Volksaufklärung beenden mag. 


In allen Straßen wimmelt es von Wahrsagern, welche öffentlich ihren Geschäften nach gehen und alle, die Zukunft betreffenden Fragen beantworten. 
Ein trübes Kapitel in der chinesischen Familie ist der Kindermord.
Während die Geburt eines Knaben große Freude hervorruft, erweckt die eines Mädchens das Gegenteil. 
Daraus erklärt sich der, im blumigen Reiche, wie sonst nirgendwo grassierende Kindermord, der immer die Mädchen trifft und im ärmeren Volke gerade zur Sitte geworden ist. 

Über einfache Kinderweglegung macht man sich nicht im geringsten Skrupel. Der Staat oder besser der oberste Familienvater, der Kaiser, welcher so sehr für das geistige Wohl der Kinder sorgt und zu diesem zweck des Nachts die Schulen offen lässt, damit die unter Tage anderwärtig beschäftigten Kleinen, das Versäumte nachholen können. Dieser Staat verfügt über mehrere Findelhäuser in welchen die ausgesetzten Mädchen ein Unterkommen finden. 
Neben dieser Unsitte läuft noch eine andere, der Kinderverkauf. 
Er ist gesetzlich gestattet und die Knaben werden gewöhnlich Diener in den Palästen der Reichen, Gehilfen bei Kaufleuten oder ein erlernen ein Handwerk. 
Der in Europa allgemein verbreitete Glaube, dass neu geborene Mädchen gleich Hunden und Katzen einfach ertränkt werden, beruht nur in so fern auf Wahrheit, als es sich um missgebildete Mädchen handelt. 
Im Übrigen nimmt mann die Angelegenheit nicht so leicht, ein Kriminalrichter von Kuangtung verbietet auf das strengste , kleine Mädchen auszusetzen und sich der Lebenspflichten zu entziehen. Es wäre ein verstoß gegen die Sittlichkeit und zerstöre die Harmonie des Himmels. 
Im allgemeinen dürfte der Allerweltsspruch auch hier Gültigkeit haben:"homo sum humani nihil a me alienum puto" (Ich bin kein Mann, dem Menschlichkeit fremd ist)
Unter dem weiblichen Geschlecht findet sich durchaus Heiterkeit und Zufriedenheit. Die arbeitenden Chinesinnen in den Reisfeldern uns Baumwollanpflanzungen zeigen ein Bild voll Lebensfreude und Bewegung. 
Mädchen in dunkelblauen Anzügen und große Strohhüte, welche die Gesichter beschatten, sammeln die schneeweiße Wolle von den Stauden, die in Schnurgeraden Reihen gepflanzt sind. Manches der Mädchen arbeitet mit entblößten Oberkörper und zeigen keine Scham, wenn Fremde in ihre nähe kommen. 
Die arbeitenden Mädchen kümmern keinen und so kommt es häufig vor, dass sie sich außerehelich einem Manne überantworten.





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